Kontrafaktische Wirklichkeiten (II)


Kommentarnummer: 1862

Heftnummer: 2738

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Durch die Aussagen des Greikos Baudencerc gewinnen die »Simulationen« im Kontrafaktischen Museum eine ganz andere Qualität – es kann letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass die kontrafaktische Wirklichkeiten eine eigenständige Realität aufweisen.
 
Das Untergangsszenario, das ganz Larhatoon erfasst hatte, so der Hauptdirektor, sei keine Simulation gewesen, sondern eine Dokumentation, die Aufzeichnung der Katastrophe, die sich genau so ereignet hatte, in allen grauenvollen Details. Und all das war – anderweitig – vom Atopischen Tribunal mit größtem Aufwand revidiert worden. Das Leiden und der Tod einer Galaxis, ungeschehen gemacht. (PR 2736)
 
Bei aller Skepsis – noch mehr Gewicht bekommt das alles durch die Entdeckung der Leiche, die eine vermeintlich jüngere Ausgabe des Greikos zu sein scheint. Im jetzigen Direktor einen Klon zu vermuten, mag zwar naheliegend sein, doch es ist keineswegs die einzig mögliche Erklärung. Das Phänomen einer mehrfachen Existenz war oftmals – wie im Fall des Ganjasen Ovaron oder bei Atlan – das Ergebnis von Zeitreisen.
 
»Normale« Zeitreisen setzen zwar schon einen beträchtlichen technisch-hyperphysikalischen Aufwand und theoretischen Background voraus, aber die Umsetzung gelang mehrfach – sei es in Form der Zeittransmitter der Lemurer und Meister der Insel, beim akonischen Epotron, dem Nullzeitdeformator oder beim Kontextwandler der JULES VERNE. In all diesen Fällen dienten die Aggregate jedoch »nur« als Transportvehikel, das den Zeitreisenden ans gewünschte Ziel zu bringen hatte. Sobald er ausstieg, war er genau wie in seiner Herkunftsgegenwart Bestandteil dessen, was als »normaler Zeitablauf« erscheint.
 
Aus den bislang bei Zeitreisen gemachten Erfahrungen wurde abgeleitet, dass sich unter normalen Umständen stets die »Trägheit der Zeit« als stärker erweist. Ein Effekt, der von den Algorrian als »vom Moralischen Kode gestützte temporal-stabile Universalsequenzen« umschrieben wurde. Die Schaffung von umfassenden Zeitparadoxa war und ist mit »normalen« Zeitmaschinen nicht möglich. Dies gipfelte in der (selbstverständlich vereinfachten!) Umschreibung »Es geschieht, weil es geschah« als Bezeichnung für eine Zeitschleife, in der genau das in der jeweiligen Relativ-Gegenwart realisiert wird, was aus der Relativ-Zukunft als Relativ-Vergangenheit bekannt und bewusst ist. Per »normaler Zeitreise« kommt es zu keiner Änderung der seinerzeit schon von Icho Tolot erwähnten »Bezugsachse«.
 
Unsere Versetzung in die Vergangenheit erfolgte durch die Erzeugung eines absoluten Nullfeldes. (...) Der Wandler durchbricht die Krümmungslinie der sechsten Dimension und der differierenden Zeitebenen, ohne jedoch die Bezugsachse zu ändern. Die halutischen Forschungen, die nunmehr verboten sind, weisen aus, dass eine Berührung der Bezugsachse eine Katastrophe heraufbeschwören müsste. In diesem Falle würde die Rückläufigkeit des Vorganges die Achsenebene so radikal verschieben, dass man eine Parallelzeit, jedoch mit ganz anderen Entwicklungsstufen erreichen müsste. Es könnte beispielsweise geschehen, dass wir eine von intelligenten Affen besiedelte Erde vorfinden würden, auf der der Mensch als belustigendes Schauobjekt in Käfigen ausgestellt wird ... (PR 264)
 
Abweichungen von der Bezugsachse eröffnen andere und/oder parallele Temporal-Universalsequenzen, von denen aus dann im Allgemeinen eine Rückkehr in die angestammte Welt und Zeit nicht mehr möglich ist, weil neben der »temporalen Differenz« auch jene der »universalen« zu überwinden ist – gewissermaßen ein »doppelter Strangeness-Unterschied« (was allerdings nicht zu wörtlich zu nehmen ist, sondern nur zur Umschreibung der Schwierigkeiten dienen soll!).
 
Unter dem Gesichtspunkt von »alternativen Zeitströmen« oder entsprechenden Paralleluniversen bedeutet das in letzter Konsequenz allerdings auch, dass alles Denkbare irgendwo im Multiversum realisiert ist und es vom Beobachter abhängt, was er nun als »seine Zeit« ansieht und was nicht. Dementsprechend sind natürlich sämtliche von der eigenen Bezugsachse abweichenden Möglichkeiten alternativer und sonstiger Entwicklungen »irgendwo« im Spektrum der einander parallelen Universen des Multiversums realisiert.
 
Ein Zugriff auf diese Möglichkeiten erfordert jedoch Mittel und Methoden, die jene einer »normalen Zeitmaschine« deutlich übersteigen. Könnte es sein, dass die Atopischen Richter – als bislang bekanntes oberes Ende in der Hierarchie des Atopischen Tribunals – und/oder ihre möglicherweise vorhandenen eigentlichen Auftraggeber genau so etwas umsetzen können?


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