Medusische Welten


Kommentarnummer: 1834

Heftnummer: 2710

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Die Umschreibung medusische Welten hat Viccor Bughassidow geprägt. Gemeint sind im allgemeinen Sinn alle Dunkelwelten, die beim Entstehungsprozess von Sonnensystemen aufgrund von Instabilitäten in den Leerraum zwischen den Sternen geschleudert werden und dort ihr einsames, weil sonnenloses Dasein fristen. Im engeren Sinn bezieht sich Bughassidow allerdings auf einen Dunkelplaneten, der aus dem Solsystem stammt. Dessen Spur hat er aufgenommen, nachdem er auf dem Jupitermond Europa unterhalb des Eisozeans eine zwischen achtzehn und einundzwanzig Millionen Jahren alte Kaverne gefunden hat, von ihm Bughassidow-Kaverne genannt.
 
Wenn sich die Indizien, denen ich folge, als heiß erweisen sollten, werde ich folgende zwei Informationen erhalten: erstens, wann der Planet das Solsystem verlassen hat. Und zweitens, in welche Richtung er abgedriftet ist. Seinen Fluchtvektor, mathematisch gesprochen. Den, wie ich in aller Bescheidenheit sage, Bughassidow-Vektor. (PR 2700)
 
Man mag von dieser »Suche nach Medusa«, einem verlorenen Planeten des Solsystems, ja halten, was man will – fest steht, dass es solche Dunkelwelten gibt. Und damit auch solche, die ursprünglich aus dem Solsystem stammen.
Bei der Entstehung eines Sonnensystems aus sich verdichtenden Staubwolken formen sich stets viele Protoplaneten, von denen allerdings etliche unweigerlich wieder verloren gehen – mitunter durchaus doppelt so viele oder noch mehr, als später die Sonne stabil umkreisen. Folglich gibt es in der Milchstraße Abermilliarden dieser Dunkelwelten, ohne dass sich die raumfahrenden Völker je sonderlich dafür interessiert hätten. Hauptgrund ist natürlich angesichts der in Hunderten und Tausenden Lichtjahren messenden Entfernungen das gewaltige Volumen im Vergleich zu den winzigen Planeten, die meist nur durch Zufall gefunden werden.
 
Sonnensysteme erscheinen bemerkenswert stabil, sofern sie einmal der stürmischen Jugendphase entwachsen sind – doch das ist eben nur das Ergebnis der umso heftigeren Zeit, bis sich diese weitgehende Stabilität eingestellt hat. Gerade in der Frühzeit eines Sonnensystems gibt es Schwankungen, exzentrische Umlaufbahnen sowie planetare Zusammenstöße mit zum Teil katastrophalen Folgen. Mit der Zeit stellt sich ein gewisses Gleichgewicht ein, bei dem die Bahnschwankungen einerseits nur noch groß genug sind, dass die wachsenden Protoplaneten den zwischen ihren Bahnen liegenden Bereich von allen kleineren Körpern säubern, andererseits aber nicht so groß, dass sie zusammenstoßen können.
 
In diesem Stadium ist das betreffende Sonnensystem an der Grenze zur Instabilität und dynamisch gesehen (fast) voll. Ein zusätzlicher Planet würde aufgrund der gravitativen Störungen für Aufruhr sorgen – und erst wieder »Ruhe« einkehren lassen, nachdem es zu einer Kollision gekommen ist oder aber ein Planet aus dem System katapultiert wurde. Es spricht viel dafür, dass sich die Sonnensysteme im Verlauf ihrer Entwicklung stets an dieser Grenze befinden und mit der Zeit wiederholt Objekte hinausgeworfen haben.
 
Abhängig vom Alter des Systems, kommt es zu einer fortschreitenden Immunisierung gegen planetares Chaos: Die Systeme sind gewissermaßen bis nahe an den Rand der Kapazität mit Planeten gefüllt, sodass sie so viele Himmelskörper wie nur möglich enthalten. Die jeweiligen Umlaufbahnen befinden sich dann so eng beieinander, wie es die Stabilität gerade noch erlaubt – etwas, das durchaus als Ergebnis eines chaotischen Prozesses zu erwarten ist. Die Zahl der Protoplaneten, die in der Frühzeit eines Sonnensystems durch die kleineren Objekte der Staubscheibe um das Zentralgestirn »gefüttert« werden, steigt demnach so lange an, bis es zur tief greifenden Instabilität kommt.
 
Als Folge kollidieren umherschwirrende Objekte mit größeren Welten und verschmelzen mit diesen. Oder sie werden aus dem System geworfen, bis das System seinen Zustand am Rand der Stabilität erreicht hat. Genau betrachtet erhöht das Sonnensystem also durch diesen Prozess der Selbstorganisation seine innere Ordnung.
 
Auch der von Icho Tolot und seinen Begleitern untersuchte Planet Kamaad ist eine solche Dunkelwelt, die es aus irgendeinem Sonnensystem geschleudert hat. Im Gegensatz zur Umgebung – die Sterne im Orionnebel sind mit einem Alter von etwa einer Million Jahren sehr jung – ist Kamaad jedoch bedeutend älter: mindestens 4,8 Milliarden Jahre. Ein einsamer Vagabund, der irgendwann in den Orionnebel eingetaucht ist. Die vorgefundenen Artefakte belegen, dass die Theorie von Tolots Kompagnon – niemand anders als Viccor Bughassidow – nicht mehr von der Hand zu weisen ist, dass nicht alle Irrläufer-Planeten »tot« sind …


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