Gravo-Abgrund (II)


Kommentarnummer: 1853

Heftnummer: 2729

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Die Messwerte ergeben, dass das System aus Plasmawolke und vier Neutronensternen, auf das Luna zurast, etwa zwanzig Millionen Jahre alt ist – vor allem die Ausdehnungsrate und die Gesamtausdehnung der Plasmawolke liefern die Eckwerte. Weil interstellares Gas in der Nähe der Neutronensterne erhitzt wird, werden die Teilchen beschleunigt und ionisiert und bilden dadurch das Plasma. Es wird in den enormen Magnetfeldern angeregt, energetische Strahlung abzugeben. Hinzu kommt der hyperphysikalische Aufruhr.
 
Dhalaam-Alpha, -Beta, -Gamma und -Delta umkreisen ein gemeinsames Zentrum und rotieren überdies 721 Mal in der Sekunde um sich selbst. Kleinste Störungen müssten sich in einem solchen System rasch und irreversibel aufschaukeln. Hinzu kommt, dass Sternenexplosionen nicht völlig symmetrisch stattfinden. Zwar sind Doppelpulsare bekannt, doch dass aus ursprünglich vier Riesensternen vier Supernovae nahezu gleichzeitig entstehen und dann auch noch in der geometrischen Konstellation eines Quadrats, ist auf natürlichem Weg unmöglich. Schon die erste Supernova hätte das Vierersystem aus dem Gleichgewicht bringen müssen. Folglich muss das System künstlich errichtet worden sein und seither auch künstlich stabilisiert werden.
 
Völlig unbekannt ist dergleichen keineswegs: Bis zum 4. Mai 2048 gab es nahe der damals spurlos verschwundenen und durch neue Sternkonstellationen ersetzten Sogmanton-Barriere den Spinnennebel genannten, mehrere Lichtjahre durchmessenden Überrest einer oder mehrerer Supernovaexplosionen. Im Zentrum befand sich mit dem Vhalon-Neutronenstern-Oktaeder ein von den Galaktischen Ingenieuren in der Zeit des Großen Galaktischen Krieges vor mehr als einer Million Jahren erbautes Gebilde. Sechs geometrisch exakt angeordnete Neutronensterne waren als fürchterliches Waffensystem gedacht, das gegen die Horden von Garbesch zum Einsatz kommen sollte, letztlich aber so gefährlich war, dass der Ritter der Tiefe Armadan von Harpoon auf einen Einsatz verzichtete (ATLAN-Buch 14 bis 16).
 
Es braucht gigantische Energiemengen, um die Neutronensterne voneinander fernzuhalten oder sie auf Bahnen um den gemeinsamen Schwerpunkt zu zwingen. Darüber hinaus existiert offenbar so etwas wie ein »Energiegewebe« im Dhalaam-System, eine »manipulative, dynamische und korrigierende Kraftasymmetrie«. Der Tolocest Mit dem Gammablitz spricht weiterhin von »kontraperipherem, mathekompositorischem Einklang der Stimmenziffer«, was Kemeny damit übersetzt, dass die nötigen »Steuerimpulse« tatsächlich von innerhalb des Systems kommen, genauer: Sie gehen von Dhalaam-Delta aus – dem Neutronenstern, auf den Luna zustürzt. Ob es sich dabei allerdings auch um die von Mit dem Gammablitz erwähnte »Drittmacht« handelt, die Luna beeinflusste, bleibt eine offene Frage.
 
Wie sich dann herausstellt, ist das vor rund zwanzig Millionen Jahre künstlich komponierte Artefakt Ergebnis einer Kultur, über die nur wenig bekannt wird. Wurmartige Kreaturen, deren Leiber sich zu beiden Enden aufspalten, sodass sie einem lang gestreckten X oder einem griechischen Chi mit verdicktem, erweitertem Knotenpunkt ähneln, bezeichneten sich als Sachverwalter. Die Erbauer seien dagegen jene, die auf Luna als »Gravo-Architekten« umschrieben wurden.
Der Kontakt mit dem Chi Kustos führt unter anderem zu der Aussage, dass sich das Dhalaam-System in den Alten Sternenlanden befinde, einem zur Southside der Milchstraße gehörenden Gebiet, während alles andere das Imperium der Empörer sei. Wir haben bislang weder von dem einen noch von dem anderen gehört, was aber angesichts des Zeitraums von zwanzig Millionen Jahren nicht zu verwundern braucht. Der Chi akzeptiert zum Glück die Veränderungen seit damals und hält es für vertretbar, wenn er hilft und Luna ziehen lässt – er erwirkt bei seinen Gebietern die »Lizenz für eine befristete Gravo-Modifikation«.
 
In der Folge wird »die Gravitation regional kurzfristig umgeschaltet«; bevor es zu spät und die kritische Distanz erreicht wird, trifft den Mond eine Wirkung wie ein mächtiger, gravomechanischer Pressstrahl. Dadurch wird Luna sanft abgefangen und mit einem Absorberfeld umgeben. Dass der Repulsor-Wall Schaden genommen hat – wenngleich unklar bleibt, welcher Art genau –, dürfte in den Augen mancher eher ein positiver Aspekt sein. Weniger angenehm erweist sich dagegen, dass der Aufenthalt im Desasterfeld eine unangenehme Nebenwirkung hat. Die monströsen Gravokräfte der vier Neutronensterne verzerren die Raumzeit und bewirken eine Zeitdilatation. Weil Referenzdaten fehlen, bleiben die Berechnungen ungenau und sind eher als Schätzungen zu betrachten. Sie reichen von wenigen Wochen bis zu zehn Jahren …


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