Gravo-Abgrund (I)


Kommentarnummer: 1852

Heftnummer: 2728

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Luna strandet in einer extrem heißen, hyperphysikalisch brodelnden Plasmawolke. Diese verdankt ihre Entstehung vier Neutronensternen, die sich zunächst etwa 100 Millionen Kilometer über Luna City befinden. Das Sternengeviert bildet die Eckpunkte eines Quadrats und glimmt in einem düsteren Rot. Toufec nennt es deshalb nach dem arabischen Wort für Finsternis Dhalaam-System.
 
Die Neutronensterne haben nahezu exakt den gleichen Durchmesser von rund zwanzig Kilometern; ihre Masse entspricht jeweils etwa dem Doppelten der Sonne Sol – somit ist ihre Dichte extrem hoch und gleicht der von Atom kernen. Das Gravitationsfeld an der Oberfläche eines solchen Neutronensterns ist etwa 200 Milliarden Mal so stark wie das der Erde. Um von der Oberfläche zu entkommen, wäre eine Fluchtgeschwindigkeit in der Größenordnung von 100.000 Kilometer pro Sekunde nötig, was etwa einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit entspricht. Ein Kubikzentimeter dieser Sternenmaterie hätte etwa die Masse eines Eisenwürfels von bis zu 700 Metern Kantenlänge; ein Teelöffel würde etwa 10 Milliarden Tonnen wiegen – deutlich mehr als der Mount Everest mit gerade einmal 6,5 Milliarden Tonnen.
 
Neutronensterne sind eine von verschiedenen Endformen bei der Sternentwicklung, die im Wesentlichen durch die Masse bestimmt wird – je größer, desto kürzer fällt die Lebensdauer aus. Andere Faktoren sind der Anteil an schweren Elementen, die Stärke der Magnetfelder oder jene des Sonnenwindes, der im Verlauf der Sternentwicklung zu einem erheblichen Masseverlust führen kann. Während massereiche Riesensonnen ihren Kernbrennstoff schon in wenigen Hunderttausend Jahren aufgebraucht haben, können die deutlich masseärmeren Roten Zwerge ein Alter von mehreren 10 Milliarden bis hin zu Billionen Jahren erreichen – älter als das Universum.
 
Hauptbrennstoff der Sterne ist Wasserstoff, der im Kern gleichmäßig zu Helium fusioniert. Massearme Sterne bis zu 0,3 Sonnenmassen führen diese Wasserstofffusion quasi bis zum bitteren Ende durch – sie glühen nach Abschluss des Wasserstoffbrennens aus und erlöschen. Verbunden mit der Temperaturabnahme im Zentrum ist ein geringerer Druck nach außen – und sobald die Schwerkraft überwiegt, kontrahieren diese Sterne zu Weißen Zwergen mit Durchmessern von einigen Tausend Kilometern. Verbunden damit ist zunächst noch mal ein Anstieg der Oberflächentemperatur; langfristig kühlen die Weißen Zwerge ab und enden als Schwarze Zwerge.
 
Bei massearmen Sternen zwischen 0,3 und 2,3 Sonnenmassen führt die Kontraktion mit der notwendigen Temperatur und Dichte im Kern zum Heliumbrennen. Hierbei expandieren die Sonnen zu Roten Riesen mit Durchmessern von typischerweise dem Hundertfachen der Sonne. Oft werden die äußeren Hüllen abgestoßen und bilden Planetarische Nebel. Am Schluss erlischt das Heliumbrennen, und die Sterne werden ebenfalls zu Weißen Zwergen.
 
Beträgt die Masse zwischen 2,3 und drei Sonnenmassen, folgt nach dem Heliumbrennen das Stadium des Kohlenstoffbrennens, bei dem Elemente bis zum Eisen entstehen. Einen mitunter erheblichen Masseverlust gibt es hierbei meist durch Sonnenwind oder die Bildung Planetarischer Nebel. Die Sternenmasse sinkt dann unter die kritische Grenze für eine Supernova-Explosion, diese Sonnen enden gleichfalls als Weiße Zwerge.
 
Haben die ursprünglichen Sterne mehr als drei Sonnenmassen, gibt es noch mehr Masseabstoßungen, während sich die Hauptmasse im Eisenkern mit einem Durchmesser von nur etwa zehntausend Kilometern konzentriert. Erreicht dieser Kern eine Masse von etwa 1,44 (Chandrasekhar-Grenze) bis drei Sonnenmassen (Tolman-Oppenheimer-Volkoff-Grenze), kollabiert er. Energie in Form von Neutrinos und Strahlung wird freigesetzt; die äußeren Schichten werden abgestoßen und bilden eine expandierende Explosionswolke. Beim Kernzonen-Kollaps verringert sich der Durchmesser jedenfalls rapide, während der damit verbundene Pirouetteneffekt (Drehimpulserhaltung) die Rotation anfänglich auf etwa hundert bis tausend Umdrehungen pro Sekunde beschleunigt.
 
Das Ergebnis ist ein Neutronenstern, häufig in Form eines Pulsars – Pulsating source of radio emission. Pulsare strahlen elektromagnetische Wellen über einen weiten Wellenbereich ab – Anteile können Radiowellen (Radiopulsar), sichtbares Licht oder sogar Röntgenstrahlung (Röntgenpulsar) sein; Pulsare mit einer Rotationsdauer unterhalb von etwa 20 Millisekunden werden Millisekundenpulsare genannt.
 
Ist die Kernmasse größer als drei Sonnenmassen, entsteht ein Schwarzes Loch – dann kann nichts mehr den Kollaps aufhalten, und die Schwerkraft wird schließlich so stark, dass nicht einmal das Licht entweichen kann.


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