Älter als das Universum?


Kommentarnummer: 1838

Heftnummer: 2714

Erschienen: 01.01.1970

Betrifft die Begriffe:

   

   

Autor:

Rainer Castor

Erster Teil:

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Es ist schon etwas Besonderes, was da am 28. Juli 1514 NGZ in einem Transferkamin von ITHAFOR-5 erscheint. Für den tefrodischen Wissenschaftler Famather Myhd, Hyperphysiker mit dem Schwerpunkt Hyperraumpassagen-Theorie, wird etwas im Glimmen sichtbar, was sich aufgrund des ebenfalls erkennbaren unendlich feinen Gewirrs von Rissen und Sprüngen nicht fixieren lässt – eine paradoxe Kontur, weil die Umrisse zugleich im tiefsten Inneren des Objekts und an seiner äußersten Peripherie zu liegen scheinen. Es ist sehr klein und zugleich sehr groß und entzieht sich den Sinnen, den Begriffen, dem Verstehen.
 
Nachdem das blaue Glimmen in ein grellrotes Wabern umgeschlagen ist, erlischt es von einem Lidschlag zum nächsten. Zurück bleibt das wenige Zentimeter große Fragment einer Hand oder einer Klaue – genauer: der Teil eines Fingers. Zwei Glieder, keine Kuppe, insgesamt versteinert. Auch die automatischen Aufzeichnungen liefern keine verwertbaren Daten; die Silhouette in dem Glimmen ist dort sogar sehr viel vager und noch undeutlicher.
 
Die anschließenden Untersuchungen des sonderbaren Artefakts liefern vor allem in einer Hinsicht ein mehr als bemerkenswertes Ergebnis – es ist alt. Sehr alt. Unglaublich alt. Nämlich 19,442 Milliarden Jahre. Und damit älter als das Standarduniversum!
 
Das Erscheinen des Artefakts erfolgt in einer Phase, da die Polyport-Höfe und Transferkamine ohne kalkulierbaren Rhythmus mal online, mal offline sind. Gornen Kandrit als tefrodischer Kommandant des Polyport-Hofs schreibt diese Instabilität Rhodan & Co. zu. Famather Myhd ist anderer Meinung und hält die Systemstörung für ein Phänomen, das alle Polyport-Höfe betrifft, nicht nur den von den Tefroder in WOCAUD umgetauften Polyport-Hof ITHAFOR-5 – und für das auch nicht Rhodan verantwortlich ist, sondern eine unbekannte Ursache. Eine, die vielleicht mächtiger als der Polyport-Präfekt ist. Und womöglich sogar mächtiger als der Schattenmaahk Pral, der als Polyport-Operator der oberste Hüter/Wächter des Polyport-Systems im Bereich der Polyport-Domäne ist und in dieser Funktion über einen Controller der Klasse C verfügt.
 
Gemeinsam mit dem weddonischen Chefwissenschaftler Projjid Tyx sieht sich Famather Myhd wiederholt die Aufzeichnung des ungeheuren Vorgangs an; sie staunen und analysieren und bewundern die paradoxe Kontur. Was das Artefakt angeht, arbeiten sie reibungslos miteinander; der Gegenstand ist zu faszinierend. Das versteinerte Fingerteil ist kein Fake, keine Täuschung; diese Überzeugung wächst, während sie das Alter wiederholt überprüfen. Zur Altersbestimmung von Materie – belebt wie unbelebt – kommen diverse hyperphysikalische Methoden zum Einsatz, die als retrotemporales Engramm umschrieben werden und eine zerstörungsfrei vorgenommene genaue Feinstrukturvermessung des hyperenergetischen Äquivalents darstellen.
 
In ihrer Orter- und Tasterfunktion dienen die diversen zur Untersuchung eingesetzten Sensoren der Analyse auf der Basis einer passiven Masse-, Energie-, Struktur- und Konturortung sowie einer aktiven Tastung im konventionellen und hyperphysikalischen Bereich. (Passiv-)Ortung ist der pure Empfang der von externen Objekten ausgehenden Emissionen konventioneller wie hyperphysikalischer Natur; (Aktiv-)Ortung oder Tastung gleicht im Gegensatz dazu dem konventionellen Radar – hierbei wird ein mehr oder weniger eng gebündeltes Paket multifrequenter Strahlung aktiv ausgesandt, um aus den reflektierten Impulsen auf die entsprechenden Objekte und ihre Eigenschaften Rückschlüsse ziehen zu können.
 
Fest steht schließlich, dass das Artefakt tatsächlich 19,442 Milliarden Jahre alt ist, maximal 170 Millionen Jahre älter oder 150 Millionen Jahre jünger – und damit älter als das Standarduniversum. Die naheliegende Schlussfolgerung ist natürlich, dass das Artefakt aus einem anderen, älteren Universum stammen könnte. Immerhin ist ja bekannt, dass zum Multiversum parallele, parareale und wie auch sonst definierbare Universen samt ihren vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ausprägungen sowie den damit verbundenen potenziellen und sonstigen Alternativen und Varianten der Wahrscheinlichkeit und des »Realitätsgrads« gehören.
 
Das Artefakt könnte also über das Polyport-Netz ins Standarduniversum »eingeschleust« worden sein – auch wenn von etwas Vergleichbarem noch nie zu hören war. Eine vielleicht sogar wahrscheinlichere Theorie besagt, dass das Artefakt zwar aus dem Standarduniversum stammt, aber aus einer späteren Epoche – sprich: aus der (potenziellen?) Zukunft. Das würde das hohe Alter natürlich plausibel erklären, bleibt aber ebenfalls vorläufig nur eine Theorie – zumal sie nicht erklärt, was da derzeit im Polyport-System vor sich geht …


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