Geheimnis der Sayporaner (1)
Die mit den Sayporanern verbundenen Fragen und Ungereimtheiten scheinen, je mehr Informationen wir von den verschiedenen Schauplätzen ihres Auftretens gewinnen, eher größer statt kleiner zu werden. Rein äußerlich sind diese Wesen einerseits zwar ziemlich menschenähnlich, andererseits wirken sie auf bemerkenswerte Weise zutiefst fremdartig, weil irgendwie eigenschaftslos: weder schön noch hässlich, weder männlich noch weiblich. Vor allem die Gesichter belegen das, da sie alle irgendwie einer Maske gleichen und die individuelle Mimik nicht richtig in Erinnerung bleibt – vom sprichwörtlichen Augurenlächeln einmal abgesehen. Markant ist nur, dass das Weiß der Haut immer wieder in allen Regenbogenfarben schillert, als bestünde es aus Perlmutt.
Beim als Irisieren umschriebenen optischen Phänomen erscheint ein Objekt je nach Perspektive in anderen Farben; Ursache hierfür sind Brechung und Interferenz des Lichts – einfallende und reflektierte Lichtstrahlen überlagern sich so, dass bestimmte Anteile des weißen Lichts gelöscht werden und, je nach Blickwinkel, unterschiedliche Farbtöne übrig bleiben und das Objekt bei Bewegung farbig schillern lassen. Meist wird Irisieren aufgrund der intensiven Farben als schön empfunden. Bekannteste Beispiele für Irisieren sind Perlmutt, Seifenblasen oder Ölfilme auf Wasser; auch etliche Insekten verdanken dem Irisieren ihr Farbenspiel.
Die Iris der Sayporaneraugen schimmert in einem matten Goldton. Die Pupille ist senkrecht-rechteckig und verengt sich unter grellem Licht zu einem senkrechten Schlitz – Sayporaner blinzeln dann, kneifen die Augen zusammen. Die Erlebnisse des Journalisten Shamsur Routh auf der Patronatswelt Gadomenäa im Weltenkranz-System lieferten inzwischen die Erklärung: Die rote Riesensonne Banteira weist zwar den 40-fachen Soldurchmesser auf, erscheint von den Weltenkranz-Planeten aus aber nur als diffus wabernder Fleck von mehr als der doppelten scheinbaren Größe wie Sol von der Erde aus gesehen, ist aber lange nicht so grell, vor allem weil die Himmelsfarbe grundsätzlich stark ins Rötliche tendiert.
Beim »Kranz der Welten« handelt es sich um eine unzweifelhaft künstliche Konstellation vergleichbar den Synchronwelten im Arkon-System – nur dass Banteira auf der Bahn des dritten Planeten von insgesamt fünf Welten umkreist wird, die die Eckpunkte eines gleichseitigen Fünfecks bilden und immer denselben Abstand zueinander halten: Saypor, Sadoyra, Pareezad, die Patronatswelt Gadomenäa und die Regenwelt Druh als Sitz der Akademie für Logistik. Eine Besonderheit sind die Onuudoy genannten, mitunter riesigen fliegenden Landschaften von Gadomenäa.
Insgesamt gehören 18 Planeten zu der Riesensonne. Zwei kleinere Planeten befinden sich innerhalb des Weltenkranzes, die übrigen außerhalb sind Gasriesen und – noch weiter außen – leicht deformierte Eisbrocken. Einer der Gasriesen ist fast vollkommen schwarz wie ein poliertes Stück Kohle.
Vieles mag zwar dafür sprechen, dass sich das Weltenkranz-System wie das Solsystem im Bereich der Anomalie befindet, doch eine endgültige Bestätigung dafür hat Shamsur Routh nach der Passage über das Transitparkett noch nicht erhalten. Da uns der Begriff Transitparkett aus Chanda bekannt ist, dürfte klar sein, dass das System der Sayporaner zum Einflussbereich von QIN SHI gehört. Ob es nun aber in Chanda – in Dosa (Chanda I), Zasao (Chanda II) oder der Do-Chan-Zo-Materiebrücke – oder doch in der Anomalie befindet, muss vorläufig offenbleiben.
Ähnlich unklar ist und bleibt noch das Ziel – oder gar die Ziele? – der Sayporaner. In vielerlei Hinsicht hat es den Anschein, als verfolgten sie ureigene Interessen, andererseits muss die sich abzeichnende Verbindung zu QIN SHI berücksichtigt werden. Durchaus möglich, dass es sogar Überschneidungen gibt, frei nach dem Motto, dass sie versuchen, das »Angenehme mit dem Nützlichen« zu verbinden. Fest steht allerdings, dass es sich um Aktivitäten handelt, die bereits seit langer Zeit stattfinden, ohne dass bislang der Zeitraum genauer eingegrenzt werden kann.
Die Aussagen der Spiegelin 1113 Taomae aus dem Volk der Vae-Vaj auf der fliegenden Landschaft Vae-Bazent geben – genau wie die sonderbaren Handlungen von Marrghiz beim (Androiden-)Leichnam Bulls – einen ersten Eindruck dessen, an was die Sayporaner unter anderem interessiert sind: ... ganz anderes Interesse ... vielleicht Notwendigkeit ... sie nehmen die Organe fremder Intelligenzen aus Notwendigkeit. Warum? Weiß ich nicht. Weiß vielleicht ... niemand. Vielleicht wird dadurch die genetische Varianz ihrer Art ... erweitert ... und deswegen waren sie damals ... glaubten wir ... an uns interessiert. Also an unseren Körpern ... (PR 2635)
Rainer Castor
|