Atlan - Extrasinn aus Atlan - Traversan-Heft 4          Extrasinn - Übersicht

Die Tücken der Zeit

von Hubert Haensel

"Ich komme aus ferner Zukunft, und ich gedenke, dorthin zurückzukehren! Ich will und kann keine gebrochenen Herzen zurücklassen." Niemand außer mir kann wohl ermessen, wie schwer Atlan ausgerechnet diese Worte fallen. Er begehrt Prinzessin Tamarena; sie ist eine Frau, wie er sie sich nur wünschen kann: intelligent, mutig, bildhübsch, mit edlem Charakter und zudem von adeliger Geburt.
Nert Kuriol reagiert auf die Ablehnung mit einem Foto, offenbar der Kopie aus einem alten Geschichtsbuch. Das Bild zeigt Gonozal VII, Atlans Vater. Der Baron ahnt demnach Atlans Herkunft und ebenso seine potentielle Unsterblichkeit, zugleich erweist er sich als gewiefter Taktiker, der Atlan gar keine andere Möglichkeit läßt, als sich für Traversan einzusetzen.
In Reaktion darauf beginnt der Beuteterraner wieder über Dinge nachzudenken, die er schon abgehakt, hatte. Wie immer er sich entscheidet, er wird liebgewonnene Menschen enttäuschen müssen, die auf ihn zählen. Oder findet er einen Weg, alle Pflichten miteinander zu verbinden und zudem die eigenen Gefühle nicht zu vernachlässigen?
Insgeheim fragt sich Atlan, welche Zeit die seine ist, das Jahr 1290 NGZ oder 12.402 da Ark arkonidischer Zeitrechnung? Immerhin liegen 10.649 Standardjahre zwischen beiden Daten. Doch die Fragestellung ist falsch. Richtig muß sie heißen: In welchem Jahr möchte er sein Leben lieber fortsetzen? Atlan kann Perry Rhodan und die Menschheit ebensowenig im Stich lassen wie das arkonidische Kristallimperium der Zukunft.
Andererseits würde er Tamarena niemals bitten, ihre eigene Gegenwart zu verlassen und ihm durch die Jahrtausende in ihre Zukunft, seine Gegenwart, zu folgen. Abgesehen davon gibt es das Problem der tödlichen Strahlung im Inneren der Zeitmaschine, die nur der Zellaktivator neutralisiert.
Außerdem ist da noch die Gewißheit, als Kristallprinz jederzeit das Anrecht auf den Thron von Arkon zu haben. Atlan wäre in der Lage, den drohenden Niedergang das Großen Imperiums aufzuhalten - und damit die Zukunft zu verändern. Aber gäbe es dann einen notgelandeten Kreuzer der Arkoniden auf dem irdischen Mond, dessen Technik den Grundstock der Dritten Macht unter Perry Rhodan und Reginald Bull bilden wird? - Nein, ich werde Atlan nicht helfen, den Verfall des Tai Ark'Tussan aufzuhalten; ich weiß, daß die Zeit jeden Fehler übelnimmt und erbarmungslos zurückschlägt. Atlan könnte bei einem solchen Versuch nicht nur die Geschichte der Milchstraße verändern...
Er zieht bereits wieder ernsthaft in Erwägung, Larsaf III, die Erde, anzufliegen. Dort könnten der Schlüssel zu seinem Schicksal zu finden sein.
Nach dem Untergang der Kolonie Atlantis, der Vernichtung seiner Flotte und dem Tod seines letzten arkonidischen Begleiters zog sich Atlan einst in die vorsorglich errichtete Schutzkuppel auf dem Meeresboden zurück. Im Tiefschlaf wollte er auf das Eintreffen eines Suchkommandos warten, auf die Landung anderer Raumfahrer oder letztlich darauf, daß die Barbaren von Larsaf in ferner Zukunft selbst die interstellare Raumfahrt entwickelten. Atlans Tiefschlaf, in Intervallen durch die robotische Steueranlage Rico unterbrochen, begann am 21 Prago des Ansoor 10.517 da Ark , nach terranischer Zeitrechnung 8000 v. Chr., Atlan hat die Geschichte der Menschheit begleitet und gefördert, teils als Freund und Mentor später berühmter Persönlichkeiten wie Seneca, Christoph Kolumbus, Leonardo da Vinci und anderer.
Er spielt mit dem Gedanken, den schlafenden Atlan - sein jüngeres Ich - zu wecken und ihm zu berichten, was die Zukunft bringen wird. Erinnert er sich nur nicht an eine solche Begegnung, oder hat sie wirklich nie stattgefunden? Aber allein daraus zu schließen, daß Atlan sich selbst nicht begegnen kann, erscheint unlogisch und inkonsequent. Weitaus richtiger wäre es, zu sage: Das ist bisher nicht geschehen (aber was nicht war, kann noch werden).
Irgendwann ist immer das erste mal, hauptet er. Etwas anderes anzunehmen hieße vorauszusetzen, daß die Zeit keinen Anfang und kein Ende hat - zumindest keinen Anfang. Die alte Sinnfrage der Menschheit, ob das Ei zuerst da war oder die Henne, läßt sich treffend transportieren. Was für die Entwicklung der Zeit, mit einem volkstümlichen Ausdruck "Geschichte" genannt. Of wird das Beispiel des jungen Mannes zitiert, der in die Vergangenheit reist und seinen Vater erschießt, bevor er selbst gezeugt wurde. Deshalb kann er nicht geboren werden; kann also auch nicht in der Zeit zurückkehren und den Mann töten, der einmal sein Vater werden sollte. Ein endloser Kreislauf ...
Wenn Atlan seinen "Zeitzwilling" über alles aufklärt und ihn an seiner Stelle in die Zukunft schickt, wäre alles paletti, Atlan und Tamarena könnten sich die nächsten hundert Jahre dem Aufbau von Traversan widmen, und sobald die Natur ihr Recht fordert (immerhin besitzt die Prizessin keinen Zellaktivator, der ihr ebenfalls die potentielle Unsterblichkeit verleiht), würde Atlan den verwaisten Platz in der Tiefseekuppel einnehmen.
Führwahr, ein verrückter Gedanke. Atlan sollte lieber versuchen, seine verrücktspielenden Hormone unter Kontrolle zu bekommen. Oder reizt es ihn, sein Leben noch einmal zu leben? Manches könnte er ändern oder anders machen, denn er hat einen unbezahlbaren Vorteil. Er weiß genau, was die Zukunft für ihn bereithält. Aber nur bis 1290 NGZ.